wird die Fra ge gestellt, was also müssen die Unternehmen tun, um die Talente der Gen Z für sich zu gewinnen? Einführung Der GALLUP-Engagement-Index zeigt ein - drucksvoll: Eine Vielzahl von Arbeitneh- mer:innen in Deutschland – 80 bis 85 Pro- zent – hat wenig bis gar keine Bindung an ihren Arbeitgeber. Im Jahre 2020 haben ledig- lich 17 Prozent angegeben, dass sie für einen Arbeitgeber eine hohe emotionale Bindung empfinden. Aus theoretischer Sicht unterscheiden Wissen- schaftler:innen den sogenannten Recruiting- Prozess, der in Personalmarketing, Employer Branding und Mitarbeiterbindung aufgeteilt ist (Kanning 2016). Setzt man sich näher mit dem Recruiting-Prozess auseinander, kommt man schnell zum Thema „Candidate Experi- ence“, in dem der Recruiting-Prozess in sechs Teilprozesse (Anziehungs-, Informations-, Bewerbungs-, Auswahl-, Onboarding-, Bindungs- prozess) unterteilt ist (mehr in Eschenbächer und Tegeler, 2021). Der Recruiting-Prozess X.0 ist in nebenstehender Abbildung dargestellt, die ursprüngliche Grafik von Herrn Jäger und die Zeitachse um den Begriff Reverse Re- cruiting ergänzt. Die Abbildung verdeutlicht die Vielzahl an Kanälen, die Unternehmen bei der Rekrutierung zur Verfügung stehen. Anmerkungen zur Generation Z In der Forschung wird fest davon ausgegan- gen, dass sich die Generationen voneinander unterscheiden. Auf die Betrachtung größerer Gruppen trifft das auch zu. Schaut man auf das Individuum, so kennen die wenigsten Menschen, wie auch die Gen Z im Ganzen, die eigenen Werte. Es kann damit keines- wegs pauschal geschlussfolgert werden, dass einzelne Individuen der Gen Z grundsätzlich anders sind als Menschen vorangegangener Generationen. Da der Digitalisierungsgrad in Deutschland in vielen Berufsbildern niedrig ist, wird den Mitgliedern der Gen Z suggeriert, sie wären in beinahe allen Berufsbildern ein knappes Gut. Gerade kaufmännische Arbeit zeichnet sich allerdings durch ein hohes Automati- sierungspotenzial aus, was die Diskussion über Chat GPT und Robot Process Automa- tion (RPA) deutlich unterstreicht. Somit ist es aktuell nicht sichergestellt, dass der kauf- männische Nachwuchs die Qual der Wahl bei der Berufswahl haben wird – sofern die Unternehmen in Digitalisierung investieren. Der Autor hat zum Zweck der Sensibilisierung der Studierenden in den letzten Jahren zahl- reiche Provokationsübungen durchgeführt, um Arbeitsmotivationen – „Warum arbeitest Du eigentlich?“ – sowie Gehaltsvorstellungen besser zu verstehen. Mit der Erfahrung von zwölf Jahren als Dozent und Hochschullehrer werden im Folgenden einige Beobachtungen und Erkenntnisse zum Berufsaufstieg junger Student:innen in kaufmännischen Berufs- bildern präsentiert. Beobachtungen aus den „Provokationsübungen“: Der jungen Generation fällt es leichter als vorherigen Generationen auf die Frage „Warum arbeitest Du eigentlich?“ eine Antwort zu finden. Das Motiv „Beitrag leisten, in einer Welt in der man leben möchte“, ist nicht zu überhören. Arbeitsmotivation: Mittlerweile ist es meiner Beobachtung nach eine Überra- schung, wenn Motive aus dem Bereich „Karriere“ (Rennbahn) bei einzelnen Studierenden der Gen Z höchste Priorität genießen. Im Vordergrund stehen oftmals Individualität, Soziales und Privatleben. Bedeutung von Gehalt: Es hat eine weitge- hende Entkopplung des Gehaltswunsches von dem zumeist notwendigen Aufwand stattgefunden (Stichwort: passives Einkommen). Der klassische Weg, als Mitarbeiter:in oder Führungskraft auch mal 60 Stunden/Woche zu arbeiten, ist kaum spürbar. Folgende Erkenntnisse lassen sich hieraus zusammenfassen: Die vorhandenen „Studien“ schauen zum Teil zu allgemein auf die Komplexität und das Zusammenspiel vorhandener, neu entstehender Berufsbilder. Corona, Ukraine, politische Instabilität sowie Energiekrise („you name it“) er- zeugen eine sehr große Verunsicherung. Hohe Ambivalenz bei beobachteten Absolvent:innen von starker intrin si- scher Motivation (Beitrag leisten) hin zu „Arbeiten, um zu leben“. Arbeitgeber müssen die Lust am „Arbei- ten“ zum Teil erst wecken, insbesondere durch Authentizität, Nachhaltigkeit und Sinn. In zahlreichen Berufsbildern werden Unternehmen mit einer hohen Fluktua - tionsrate leben müssen, beziehungs- weise einige Berufsbilder werden große Anstrengungen im Personalbeschaf- fungsprozess erfordern. L E A RNING & RECRUITING Daraus ergeben sich folgende initiale Handlungsempfehlungen für das Recruiting X.0: Verstärkung des Employer Branding – ohne attraktive Arbeitgebermarke wird in Zukunft wenig bei der Rekrutierung der Gen Z gehen – insbesondere, was größere Bewerberzahlen angeht. Die Gen Z ist es schlichtweg gewohnt, sich ständig über soziale Medien zu vergleichen. Die Messlatten können sich damit verschieben – Frage: Was bietet der Arbeitgeber, was nicht? Qualität vor Quantität – es lohnt sich der Aufbau eines Talent-Beziehungs- Managements. Gestaltungsfreiheit soweit möglich – die Unternehmen sollten Denk- und Handlungsspielräume aufbauen. Nachhaltige Unternehmensführung – unter Berücksichtigung der entsprechen- den Berichterstattung und des Lieferket- tengesetzes – ist ein immer wichtiger werdendes Entscheidungskriterium. Ausbildung/ Duales Studium ist auch weiterhin ein wichtiger Baustein für die Gewinnung der Gen Z! Fazit Recruiting X.0 stellt eine völlig neue Heraus- forderung für die Unternehmen dar, und zugleich sind Werte, Überzeugungen und Vorstellungen der Gen Z so heterogen wie bei keiner Generation zuvor, was es beim Recruiting zu beachten gilt. Quellen: Jäger, W. (2018). „Recruiting 1.0–4.0“: Strategien, Prozesse und Systeme im Wandel der Zeit. In C. Kohhan & A. Moutchnik (Hrsg.), Media Management: Ein interdisziplinäres Kompendium (S. 1–28). Gabler Kanning, U. P. (2016): Personalmarketing, Employer Branding und Mitarbeiterbindung: Forschungsbefunde und Praxistipps aus der Personalpsychologie, Springer Eschenbächer, J., Tegeler, I. (2021). Analyse von Candidate Experience als Erfolgsfaktor im digitalen HR-Recruiting. In: Tirrel, H., Winnen, L., Lanwehr, R. (eds) Digitales Human Resource Management. Springer Gabler, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-35590-6_12 PROF. DR. JENS ESCHENBÄCHER Professur für Internationales Management und Personalwirtschaft · Hochschule Bremen E-Mail: Jens.Eschenbaecher@hs-bremen.de Telefon: 0421 / 59 05 - 44 33 www.HR-RoundTable.de HR-RoundTable News April 2023 | 9