Es folgen die Orientierungssätze des Urteils des BAG vom 29.09.,2020 – 9 AZR 364/19 -:
1. Tarifvertragsparteien können Urlaubsansprüche, die den von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG gewährleisteten und von §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG begründeten Anspruch auf Mindestjahresurlaub von vier Wochen übersteigen, frei regeln (Rn. 21).
2. Machen die Tarifvertragsparteien, wie mit § 4 Abs. (4) ZTV II iVm. § 10 MTV, von der Befugnis Gebrauch, die Befristung und Übertragung bzw. den Verfall des Urlaubsanspruchs abweichend vom Bundesurlaubsgesetz festzulegen, bedarf die Annahme, der tarifliche Mehrurlaubsanspruch solle dennoch, wenn der Urlaub wegen Krankheit des Arbeitnehmers nicht genommen werden konnte, ausnahmsweise nach § 7 Abs. 3 BUrlG befristet sein und somit frühestens 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres erlöschen, deutlicher Anhaltspunkte. Solche fehlen in § 4 Abs. (4) ZTV II, so dass der Mehrurlaubsanspruch, sofern die Voraussetzungen seiner Befristung erfüllt sind, regelmäßig nach Maßgabe der tariflichen Bestimmungen erlischt (Rn. 25).
3. In § 10 MTV und § 4 (4) ZTV II hat ein vom Gesetzesrecht abweichender Regelungswille bezogen auf die Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten des Arbeitgebers keinen Niederschlag gefunden. Die Befristung des tariflichen Mehrurlaubs setzt daher, wie die des gesetzlichen Urlaubsanspruchs, voraus, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auffordert seinen Urlaub zu nehmen, und ihm klar und rechtzeitig mitteilt, dass der Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahres oder Übertragungszeitraums verfällt, wenn er ihn nicht beantragt (Rn. 27 ff.).
4. Die Tarifvertragsparteien sind grundsätzlich darin frei, den Zweck des tariflichen Mehrurlaubs zu bestimmten. Sie verfügen im Rahmen ihrer Normsetzungskompetenz aus Art. 9 Ab. 3 GG über einen Beurteilungs- und Ermessensspielraum hinsichtlich der inhaltlichen Gestaltung der Regelung sowie über eine Einschätzungsprärogative bezüglich der Bewertung der tatsächlichen Gegebenheiten und betroffenen Interessen, die eine differenzierende Regelung sachlich rechtfertigen können. Der grundrechtlich geschützte Gestaltungsspielraum berechtigt die Tarifvertragsparteien allerdings nicht, entgegen Art. 3 Abs. 1 GG gleichheitswidrige Differenzierungen vorzunehmen (vgl. Rn. 46 ff.) und das in § 7 Abs. 1 AGG geregelte Verbot der Diskriminierung von Arbeitnehmern mit Behinderungen auszuhöhlen (Rn. 57 ff.).
5. Bei der Festlegung der Modalitäten der Wahrnehmung des tariflichen Mehrurlaubs können die Tarifvertragsparteien, ohne gegen Art. 3 Abs. 1 GG zu verstoßen, eine von den gesetzlichen Bestimmungen abweichende Gewichtung der Interessen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer vornehmen und den Mehrurlaubsanspruch im Rahmen ihres Gestaltungsspielraums eigenständig zeitlich befristen, sofern sich die Regelung am gegebenen Sachverhalt und dem Zweck der tariflichen Leistung orientiert (Rn. 53 ff.).
6. Die Befristung des Mehrurlaubsanspruchs durch § 4 Abs. (4) ZTV II bis zum 30. April des auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres führt nicht unter Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG zu einer Schlechterstellung von arbeitsunfähigen gegenüber arbeitsfähigen Arbeitnehmern, die den Mehrurlaub innerhalb des Übertragungszeitraums nehmen können. Die Tarifvertragsparteien waren nicht verpflichtet, Fälle der Erkrankung von Arbeitnehmern in § 4 Abs. (4) ZTV II besonders zu regeln. Die Befristung orientiert sich am gegebenen Sachverhalt und dem Zweck der tariflichen Leistung, indem sie dem mit zunehmendem Abstand zum Urlaubsjahr schwindenden Erholungswert des Mehrurlaubs und den Schwierigkeiten der Arbeitsorganisation Rechnung trägt, die mit dem Ansammeln von Urlaubsansprüchen verbunden sind (Rn. 53).
7. Das AGG dient der Umsetzung der Richtlinie 2000/78/EG in das nationale Recht und ist deshalb grundsätzlich unionsrechtskonform im Einklang der Richtlinie 2000/78/EG auszulegen und anzuwenden (Rn. 63). Behinderung iSd. Richtlinie 2000/78/EG schließt einen Zustand ein, der durch eine ärztlich diagnostizierte heilbare oder unheilbare Krankheit verursacht wird, wenn die Krankheit Beeinträchtigungen von langer Dauer mit sich bringt und diese in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren den Betroffenen an der vollen und wirksamen Teilhabe am Berufsleben, gleichberechtigt mit anderen Arbeitnehmern hindern können (Rn. 66). Allein die Berufung auf eine über einen Zeitraum von sechs Monaten hinaus bestehenden Arbeitsunfähigkeit genügt nicht zur Darlegung einer Behinderung (Rn. 67).