Orientierungssätze des Urteils des BAG vom 25.06.2020 – 8 AZR 145/19 -:
1. Richtlinien der Europäischen Union sind vollständig und genau einzuhalten, weshalb die Mitgliedstaaten der Europäischen Union verpflichtet sind, die Bestimmungen der Richtlinien in hinreichend verbindlicher, bestimmter und so genauer, klarer und eindeutiger Weise umzusetzen, dass dem Erfordernis der Rechtssicherheit in vollem Umfang genügt wird. Allen Trägern öffentlicher Gewalt in den Mitgliedstaaten und damit im Rahmen ihrer Zuständigkeiten auch den Gerichten obliegt es, unter Berücksichtigung des gesamten innerstaatlichen Rechts und unter Anwendung der dort anerkannten Auslegungsmethoden alles zu tun, was in ihrer Zuständigkeit liegt, um die volle Wirksamkeit des Unionsrechts und damit auch der Richtlinien der Europäischen Union zu gewährleisten (Rn. 48 f.).
2. Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 iVm. § 12 Abs. 1 EntgTranspG haben Beschäftigte nach § 5 Abs. 2 EntgTranspG zur Überprüfung der Einhaltung des Entgeltgleichheitsgebots im Sinne dieses Gesetzes einen individuellen Auskunftsanspruch nach Maßgabe der §§ 11 bis 16 EntgTranspG. Nach § 5 Abs. 2 Nr. 1 EntgTranspG sind Beschäftigte iSd. EntgTranspG „Arbeitnehmerinnen“ und „Arbeitnehmer“.
3. Die Begriffe „Arbeitnehmerinnen“ und „Arbeitnehmer“ in § 5 Abs. 2 Nr. 1 EntgTranspG können nicht nach rein nationalem Rechtsverständnis ausgelegt werden. Sie sind vielmehr vor dem Hintergrund, dass die zwingend erforderliche Umsetzung von Art. 2 Abs. 1 Buchst. e (Begriffsbestimmung „Entgelt“) und von Art. 4 (Entgeltdiskriminierungsverbot bezogen auf Frauen und Männer) der Richtlinie 2006/54/EG in das innerstaatliche Recht in Deutschland erst mit § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 4, § 5 Abs. 1 sowie § 7 EntgTranspG erfolgte, und dass das EntgTranspG für den Auskunftsanspruch nach § 10 EntgTranspG keinen von § 5 Abs. 2 EntgTranspG abweichenden besonderen persönlichen Anwendungsbereich vorsieht, unionskonform in Übereinstimmung mit dem Arbeitnehmerbegriff der Richtlinie 2006/54/EG auszulegen (Rn. 39 ff., 63, 68).
4. Im Unionsrecht gibt es keinen einheitlichen Arbeitnehmerbegriff. Der Arbeitnehmerbegriff iSd. Bestimmungen zum gleichen Entgelt der Richtlinie 2006/54/EG ist anhand objektiver Kriterien zu definieren, die das Arbeitsverhältnis im Hinblick auf die Rechte und Pflichten der Betroffenen kennzeichnen. Das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses besteht darin, dass eine Person während einer bestimmten Zeit für eine andere nach deren Weisung Leistungen erbringt, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhält (Rn. 70, 72).
5. Danach kann im Einzelfall auch eine arbeitnehmerähnliche Person iSd. innerstaatlichen Rechts Beschäftigte/r iSv. § 5 Abs. 2 Nr. 1 EntgTranspG sein (Rn. 39, 75).
6. Die Regelungen in den §§ 14, 15 EntgTranspG zum Verfahren der Auskunftserteilung enthalten Bestimmungen dazu, an wen die Beschäftigten sich mit ihrem Auskunftsverlangen wenden sollen und wer Auskunft erteilt. Dies können – je nach Fallgestaltung – der Arbeitgeber oder der Betriebs- bzw. Personalrat sein. Zugleich ist in den §§ 14 und 15 EntgTranspG ein ausdifferenziertes, mit umfangreichen wechselseitigen Informationspflichten ausgestattetes Kooperationsmodell zwischen verschiedenen Akteuren der Entgeltgestaltung vorgesehen. Dies sind neben dem Arbeitgeber der Betriebs- bzw. Personalrat; aber auch Vertreterinnen und Vertreter der zuständigen Tarifvertragsparteien gehören dazu. Der Gesetzgeber wollte damit die sozialpartnerschaftliche Verantwortung berücksichtigen und stärken sowie sicherstellen, dass die Akteure der Entgeltgestaltung nicht aus ihrer Verantwortung entlassen werden, Entgeltgleichheit zu gewährleisten (Rn. 88, 94).
7. Die Auslegung der §§ 14 und 15 EntgTranspG ergibt, dass die Beschäftigten ein Wahlrecht haben. Sie können sich mit ihrem Auskunftsverlangen sowohl an den Arbeitgeber als auch – bei Bestehen eines Betriebs-bzw. Personalrats – an den Betriebs- bzw. Personalrat wenden. Mit dem in den §§ 14 und 15 EntgTranspG vorgesehenen Kooperationsmodell sollte nicht das Verfahren der Auskunftserteilung für die Beschäftigten erschwert werden. Eine den Vorgaben der §§ 14 und 15 EntgTranspG nicht entsprechende Adressierung des Auskunftsverlangens durch die Beschäftigten hat für diese keine nachteiligen rechtlichen Folgen und stellt demnach die Ordnungsgemäßheit ihres Verlangens nicht in Frage. Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitgeber die Beschäftigten darüber informiert hat, an wen diese sich mit ihrem Auskunftsverlangen wenden sollen und wer es beantworten wird (Rn. 83, 85, 93 ff.).
8. Die Klage auf Auskunftserteilung nach § 10 EntgTranspG ist gegen den Arbeitgeber als Schuldner des Entgelts zu richten (Rn. 97 f.).
9. Nach § 10 Abs. 1 Satz 3 EntgTranspG können die Beschäftigten ua. Auskunft zu dem durchschnittlichen monatlichen Bruttoarbeitsentgelt nach § 5 Abs. 1 EntgTranspG verlangen. Zum monatlichen Bruttoarbeitsentgelt gehört nicht nur das Grundentgelt, sondern das gesamte monatliche Bruttoeinkommen einschließlich sämtlicher sonstiger Vergütungen, die unmittelbar oder mittelbar in bar oder in Sachleistungen aufgrund des Beschäftigungsverhältnisses „gewährt“ werden (vgl. Rn. 105).
10. Daneben kann nach § 10 Abs. 1 Satz 3 EntgTranspG der Median einzelner Entgeltbestandteile erfragt werden. Die Auslegung des Begriffs „einzelne Entgeltbestandteile“ in § 10 Abs. 1 Satz 3 EntgTranspG ergibt, dass sowohl gezielt nach bestimmten Entgeltbestandteilen gefragt werden kann, bei denen eine Ungleichbehandlung vermutet wird, als auch nach vergleichbaren Entgeltbestandteilen, die eine Gruppe bilden. Der Gesetzgeber wollte mit dem Auskunftsanspruch nach § 10 EntgTranspG die Durchsetzung der Entgeltgleichheit für die Betroffenen erleichtern. Danach ist ein (auch) gruppenbezogenes Verständnis des Begriffs „einzelne Entgeltbestandteile“ geboten (Rn. 106 ff.).