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Außerordentliche Kündigung eines einem schwerbehinderten Menschen Gleichgestellten; Kündigungserklärungsfrist; Anhörung des Arbeitnehmers vor Ausspruch einer Verdachtskündigung; negative Feststellungsklage; Überzeugungsbildung des Gerichts

Außerordentliche Kündigung eines einem schwerbehinderten Menschen Gleichgestellten; Kündigungserklärungsfrist; Anhörung des Arbeitnehmers vor Ausspruch einer Verdachtskündigung; negative Feststellungsklage; Überzeugungsbildung des Gerichts

 

Orientierungssätze des Urteils des BAG vom 11.06.2020 – 2 AZR 442/19 -:

 

1. Der Ablauf der Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB ist Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 174 Abs. 5 SGB IX. Daneben kommt es nur darauf an, dass das Integrationsamt die nach § 174 Abs. 1 iVm. § 168 SGB IX erforderliche Zustimmung zur Kündigung erteilt oder diese als erteilt gilt und die Kündigung danach unverzüglich ausgesprochen wird (Rn. 26 ff.).

 

2. Der Arbeitgeber kann die zuständige Arbeitnehmervertretung erst nach Abschluss des Verfahrens vor dem Integrationsamt beteiligen, ohne dass dem § 174 Abs. 5 SGB IX entgegenstände (Rn. 21).

 

3. Die Prüfung durch die Gerichte für Arbeitssachen ist darauf beschränkt, ob die Kündigung nach erteilter bzw. als erteilt fingierter Zustimmung unverzüglich iSv. § 174 Abs. 5 SGB IX erfolgt ist (Rn. 30).

 

4. Die Frage der Rechtzeitigkeit der Antragstellung beim Integrationsamt bestimmt sich nach § 174 Abs. 2 SGB IX. Sie ist allein vom Integrationsamt bzw. im Falle der Anfechtung der Entscheidung von den Verwaltungsgerichten zu prüfen. Die Arbeitsgerichte sind an eine erteilte Zustimmung gebunden (Rn. 31 f.).

 

5. Der Arbeitgeber muss regelmäßig nicht nachforschen, ob der Arbeitnehmer trotz Arbeitsunfähigkeit an einer vor Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung erforderlichen Anhörung zur Sachverhaltsaufklärung teilnehmen kann bzw. versuchen, ihn zu der Teilnahme an einer solchen Anhörung zu bewegen (Rn. 49).

 

6. Aufgrund des Normzwecks des § 626 Abs. 2 BGB darf der Arbeitgeber aber auch im Fall der Erkrankung des Arbeitnehmers nicht beliebig lang zuwarten, bis er versucht, mit diesem während der Arbeitsunfähigkeit die erforderliche Sachverhaltsaufklärung durchzuführen. Er ist nach einer angemessenen Frist gehalten, mit dem Arbeitnehmer Kontakt aufzunehmen, um zu klären, ob dieser gesundheitlich in der Lage ist, an der gebotenen Sachverhaltsaufklärung mitzuwirken. Diese Anfrage kann der Arbeitgeber mit einer kurzen Erklärungsfrist verbinden (Rn. 50).

 

7. Eine Überzeugungsbildung iSd. § 286 Abs. 1 ZPO setzt nicht immer eine mathematisch lückenlose Gewissheit voraus. Vielmehr genügt ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit, der verbleibenden Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen. Das Gericht darf das Nichterreichen eines ausreichenden Grads an Gewissheit nicht allein darauf stützen, es seien andere Erklärungen theoretisch denkbar (Rn. 62).